Überforderte Behörden im Fall Sonko: Besorgniserregende Defizite im Schweizer Asylwesen

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Schweizerische Volkspartei SVP

von Nationalrat Gregor Rutz
Mitglied der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats

(Bern)(PPS) Dank einer Recherche der SRF-Sendung „Rundschau“ wurde am 25. Januar 2017 bekannt, dass der langjährige Innenminister der Islamischen Republik Gambia, Ousman Sonko, sich in der Schweiz aufhält und um Asyl ersucht. Die sichtlich überraschten Behörden bestätigten diesen Sachverhalt zögerlich. Nach über zwei Wochen erklärte sich die Bundesanwaltschaft am 6. Februar endlich bereit dazu, das Dossier zu übernehmen. Der Fall Sonko wirft gravierende Fragen auf: Sind unsere Behörden überfordert? Funktionieren die Informationsflüsse? Die Mängel in der schweizerischen Asyl- und Sicherheitspolitik sind besorgniserregend.

1994 putschte sich der Offizier Yahya Jammeh in Gambia an die Macht. Während 22 Jahren regierte er die ehemalige englische Kolonie mit eiserner Hand und liess sich vier Mal zum Präsidenten wählen. Dass Menschenrechte für den autokratischen Herrscher von untergeordneter Bedeutung waren und es in Gambia unter der Regierung Jammeh willkürliche Inhaftierungen, Folter und Hinrichtungen gab, war bekannt. Dies führte zu Flüchtlingsströmen, von welchen auch die Schweiz betroffen war. Gemäss Angaben des Bundesamts für Migration hatte die Schweiz alleine im Juli 2016 rund 800 Asylgesuche von Gambiern zu verzeichnen.

Das Land ist mittlerweile völlig heruntergewirtschaftet: Über die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut. Im Januar 2016 erklärte Jammeh sein Land zur „Islamischen Republik“ und schrieb allen weiblichen Angestellten der öffentlichen Verwaltung das Tragen von Kopftüchern vor. Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass die Präsidentenwahlen vom 1. Dezember 2016 ein klares Resultat brachten: Der Immobilienhändler Adamo Barrow erhielt 45,5% der Stimmen und gewann die Wahl. Auf Jammeh entfielen lediglich 36,6% der Stimmen, auf den dritten Kandidaten Mama Kandeh die restlichen 17,8%. 

Am Wahlwochenende waren die Landesgrenzen geschlossen und Sicherheitskräfte in grosser Zahl im Einsatz. Umso überraschender, dass Staatschef Jammeh seine Wahlniederlage zunächst eingestand und dem Sieger gratulierte. Doch bereits eine Woche später tönte es wieder anders: Jammeh weise die Wahlergebnisse vollumfänglich zurück. Er wolle das Resultat nicht anerkennen, da er Anzeichen für Wahlbetrug habe. Anstelle der angekündigten friedlichen Machtübergabe folgten der Aufzug von Truppen und Drohgebärden. Erst am 21. Januar erklärte Jammeh seinen Rücktritt und begab sich gleichentags ins Exil nach Äquatorialguinea.

Innenminister Sonko floh bereits früher
Ein Weggefährte Jammehs entschloss sich angesichts der drohenden Niederlage offenbar schon früher zur Flucht aus Gambia: Bereits im September 2016, gut zwei Monate vor den Wahlen, floh der langjährige Innenminister Ousman Sonko nach Schweden. Dort stellte er am 21. September 2016 einen Antrag auf Asyl, der innert kurzer Zeit abgelehnt wurde. 

Mittlerweile ist der Grund für den raschen Entscheid bekannt: Schweden bezog sich auf die Dublin-III-Verordnung 604/2013 vom 26. Juni 2013, welche in Art. 12 Abs. 4 besagt, dass in Fällen, wo ein Asylbewerber ein Visum besitzt, das seit weniger als sechs Monaten abgelaufen ist, der ausstellende Staat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist. Aufgrund dieser Bestimmung überstellte Schweden Sonko der Schweiz, denn die Schweizer Botschaft in Senegal, welche auch für Gambia zuständig ist, hatte Minister Sonko ein Schengen-Visum im Zusammenhang mit einer internationalen Konferenz in Genf erteilt. Über diese Tatsachen wurden der Nachrichtendienst sowie andere schweizerische Behörden offenbar bereits Ende September ins Bild gesetzt (vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 27.1.2017).

Unwissende Schweizer Asylbehörden?
Umso erstaunlicher der Fortgang der Geschichte: Nachdem Sonko am 10. November 2016 in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt hatte, wies der Bund den Gesuchsteller am 14. November dem Kanton Bern zu. Daraufhin lebte Sonko unbehelligt während gut zweier Monate in einem Asylheim in Lyss. Aus heutiger Sicht, so der Berner Regierungsrat Käser, sei es „unverständlich, dass ein solcher Asylsuchender überhaupt einem Kanton zugeteilt“ werde (Rundschau, SRF, 25. Januar 2017). Käser ist beizupflichten: Die Identität des Gesuchstellers war ebenso bekannt wie die Vorwürfe, welche gegen ihn erhoben wurden. 

Doch wussten dies die zuständigen Behörden, als sie Sonko am 14. November dem Kanton Bern zugewiesen haben? Wären bei einem solchen Gesuchsteller nicht ganz andere Massnahmen angebracht gewesen? Warum war es nicht möglich, Sonko in einem Bundeszentrum zu behalten und das Verfahren innert neunzig Tagen durchzuführen?

Erst Ende Januar bestätigte das Staatssekretariat für Migration (SEM), dass ein ehemaliges Mitglied der gambischen Regierung ein Asylgesuch gestellt habe. Gleichzeitig erklärte der zuständige Berner Regierungsrat Käser, „der Bund habe dem Kanton Bern am 14. November 2016 einen Mann zugewiesen, der laut Befragungsprotokoll von 2006 bis 2016 gambischer Innenminister gewesen sei“ (Neue Zürcher Zeitung [online] vom 25. Januar 2017). Er habe aber erst aufgrund von Recherchen der Sendung „Rundschau“ erfahren, dass diese Person sich in einem Berner Asylheim befinde. Welche Massnahmen das zuständige SEM traf, blieb bislang im Dunkeln.

Fehlender Austausch unter Behörden
Der Asylantrag des ehemaligen gambischen Ministers wurde dem Nachrichtendienst offensichtlich nicht zur Überprüfung unterbreitet, obwohl in einer derart heiklen Angelegenheit eine Sicherheitsprüfung zweifellos angebracht wäre. Die Frage, ob die Bundesanwaltschaft Kenntnis vom Asylantrag Sonkos hatte, ist mittlerweile beantwortet: Das Bundesamt für Polizei teilte der Bundesanwaltschaft am 29. November 2016 mit, dass Sonko ein Asylgesuch eingereicht habe – also fast drei Wochen danach. Die Bundesanwaltschaft blieb weitere zwei Monate lang untätig. 

Es brauchte die Strafanzeige einer Genfer Menschenrechtsorganisation, um die Berner Strafverfolgungsbehörden zu zwingen, ein Strafverfahren einzuleiten. Erst am 6. Februar erklärte sich die Bundesanwaltschaft dazu bereit, das heikle Dossier zu übernehmen. Es seien „genügende Elemente festgestellt“ worden, welche „den Verdacht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht ausschliessen“. Die Bundesanwaltschaft ist offensichtlich froh, dass die erwähnte Genfer NGO im Rahmen ihrer Anzeige „wertvolle Informationen zusammengetragen“ hat, welche „für das Strafverfahren von Relevanz“ sind (Communiqué der Bundesanwaltschaft vom 6. Februar). Mit Fug und Recht fragt sich der geneigte Leser, ob dies nicht eher Aufgabe der zuständigen Behörden gewesen wäre.

Besorgniserregende Defizite im Schweizer Asylwesen
In den vergangenen Wochen und Monaten wurden immer wieder Fälle von Asylbewerbern bekannt, welche in die Schweiz einreisten und in ihrem Heimatstaat eine dunkle Vergangenheit haben. Zu erinnern ist an die Fälle des Liberianers Alieu Kosiah, der als Kommandant der Rebellenmiliz im liberianischen Bürgerkrieg beteiligt war, eines ruandischen Ex-Ministers, der im Kanton Luzern von der Sozialhilfe lebt, oder einer Bosnierin, welcher Gräueltaten im Rahmen des Bosnienkriegs vorgeworfen werden. Es ist geradezu absurd, dass die Schweiz Personen Asyl oder vorläufigen Aufenthalt bietet, die mitverantwortlich sind für ganze Flüchtlingsströme, welche die Schweiz und Europa zu verkraften haben.

Umso dringender ist die Frage, welche Lehren die Schweiz daraus zieht. Verfügen unsere Behörden über die nötigen Informationen, um Fälle wie das Asylgesuch von Ousman Sonko rasch und richtig einordnen und beurteilen zu können? Ist der Informationsfluss unter den Behörden gewährleistet und vermögen die zuständigen Personen prioritäre Fälle richtig zu erkennen? Und: Wie sollen wir in der Lage sein, die Versprechen des neuen Asylgesetzes (Verfahrensdauer 100 bzw. 140 Tage) umzusetzen, wenn die Behörden selbst bei offensichtlichen Fällen mit bekannten Personalien und bekannter Vorgeschichte überfordert sind?

Namentlich die Frage, welche Vorkehrungen das EJPD nun trifft, damit derartige Fälle künftig nicht mehr vorkommen bzw. entsprechende Personen frühzeitig erkannt und rasche Entscheide getroffen werden können, harrt einer Antwort. Seitens des EJPD herrscht derzeit Funkstille. Spätestens in der Frühjahrssession wird sich die zuständige Vorsteherin erklären müssen. 

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