Textile Konzepte 1970-1990". Eine Ausstellung im Textilmuseum St.Gallen
(St.Gallen)(PPS) Die Ausstellung «Die totale Wohnharmonie? Textile Konzepte 1970-1990», zu sehen vom 27. April bis zum 30. September 2018 im Textilmuseum St.Gallen, widmet sich dem Textildesign von Verner Panton, Alfred Hablützel, Trix & Robert Haussmann sowie Jean-Philippe Lenclos. Die Gestalter entwickeln im Zeitraum von 1970 bis 1990 umfangreiche Kollektionen für die Schweizer Firma MIRA-X, die international Furore machen und das Interieur-Design dieser Jahre massgeblich beeinflussen sollen.
Ein Gang durchs Einrichtungshaus, der Blick in einschlägige Möbelkataloge zeigen, dass Heimtextilien – also Teppiche, Gardinen, Möbelbezugsstoffe – häufig als aufeinander abgestimmte Produktlinien offeriert werden. Die mehr oder minder umfangreichen Kollektionen ermöglichen es dem nach Wohnästhetik strebenden Kunden, harmonische Interieurs zu kreieren ohne einen Fachmann zu Rate ziehen zu müssen. Das war nicht immer so: Lange waren stilistisch aufeinander abgestimmte Inneneinrichtungen, die neben dem Mobiliar auch Stoffe umfassen, einer sehr exklusiven Schicht vorbehalten, die sich Massanfertigungen leisten konnte. Die weniger begüterte Kundschaft kaufte von der Stange, wobei die Kombinierbarkeit der Einzelstücke im Normalfall keine Rolle spielte.
MIRA-X: Neue textile Konzepte
In der Schweiz sollte sich das 1968 ändern, als das Schweizer Einrichtungshaus Möbel Pfister mit MIRA-TEX (später MIRA-X) eine eigene Textillinie als Ergänzung zu dem bis dahin vorwiegend auf Holzmöbel ausgerichteten Sortiment lanciert. Bald wird aus der Textillinie ein eigenständiger, unter dem Dach des umsatzstarken Möbelhauses agierender Textilverlag, der hohe Ambitionen hegt:
Die Leitidee, Textilien der Innenarchitektur, also Teppichböden, Dekorationsstoffe und Möbelbezüge als thematische und koordinierbare Kollektion zu entwickeln und anzubieten, war vielleicht die ehrgeizigste Zielsetzung, die MIRA-X sich 1969 setzte.
Heimtextilien in Form koordinierbarer Kollektionen auf den Markt zu bringen, stellt seinerzeit für die Schweiz ein Novum dar und ist vorerst ein Alleinstellungsmerkmal von MIRA-X. Neben wirtschaftlichen Vorteilen sieht man hier eine Möglichkeit, das Heimtextildesign zu revolutionieren und beauftragt namhafte Architekten und Gestalter, von denen man sich innovative Entwürfe erhofft und die neue Massstäbe setzen sollen.
Verner Panton: Die totale Wohnharmonie
Die Wahl fällt zunächst auf Verner Panton, einen in Basel ansässigen Dänen. Panton hat sich seit den späten 1950er-Jahren als Designer und Innenarchitekt international einen Namen gemacht. Er ist bekannt für seine Leuchten- und Möbelentwürfe wie den Panton Chair, die Moon Lamp oder den Flower Pot. Als Farbmagier und Wohnutopist entwirft er spektakuläre Rauminstallationen wie die Visiona 2, die 1970 auf der Möbelmesse Köln vorgestellt wird. Pantons frühe Stoffkollektionen spielen mit visuellen Phänomenen wie man sie in den 1960er-Jahren auch in der Op Art kennt. Für MIRA-X erarbeitet Verner Panton ein Gestaltungsvokabular aus geometrischen Grundformen, welches er systematisch bezüglich Grösse, Farbigkeit und Anordnung variiert. Einem Baukasten-Prinzip folgend, bietet seine Kollektion dem Kunden die Möglichkeit, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens selbst gestaltend tätig zu werden. Das sogenannte «Set»-Programm von 1977 beinhaltet schliesslich 1200 Positionen in 14 Dessins, 50 Farben und verschiedenen Materialien.
Erstmals kommerziell präsentiert werden die MIRA-X-Kollektionen 1971 auf der Heimtextilmesse in Frankfurt. Der spektakulär inszenierte Messestand und die Kollektion von Verner Panton erregen höchste Aufmerksamkeit und verschaffen dem jungen Textilverlag schlagartig internationale Anerkennung. Ab 1976 werden Pantons textile Konzepte mit dem Slogan «Die totale Wohnharmonie» beworben, doch bereits wenig später kündigt sich ein Wechsel in der Wohnkultur an: Die raumfüllenden Wohnlandschaften, die Boden, Wand und Decke in die Konzeption miteinbeziehen, verlieren an Popularität und so entschliesst sich MIRA-X Ende der 1970er-Jahre, von der exklusiven Zusammenarbeit mit Panton abzusehen und weitere Gestalter hinzuzuziehen.
H-design: Eine illusionistische Textilkollektion
Im Jahr 1981 beauftragt MIRA-X Alfred Hablützel, der als Fotograf und Grafiker für die Firma arbeitet, mit der Suche nach einem neuen «Generalthema», das dem Unternehmen ein zeitgemässes Image verpassen soll. Hablützel schliesst sich mit dem Architektenpaar Trix & Robert Haussmann zusammen, das sich zu diesem Zeitpunkt bereits einen Namen mit Projekten wie der Gestaltung der Kronenhalle Bar (R. Haussmann, 1965) oder der Boutique Lanvin (1977) in Zürich gemacht hat und deren Gesamtwerk 2013 mit dem Grand Prix Design des Bundesamts für Kultur ausgezeichnet wird.
Das gestalterische Programm der unter dem Namen H-design for MIRA-X lancierten Textilkollektionen fassen Trix & Robert Haussmann wie folgt zusammen:
Ausgehend von der Idee, Textilien zu entwerfen, welche es erlauben, Räume damit optisch zu verändern und Trompe-l'Œil-Wirkungen zu erzeugen, schufen wir im Auftrag des international tätigen Textilverlags MIRA-X eine neue Textilkollektion.
Die auf die optisch-architektonischen Veränderungen des Raums zielenden Textilentwürfe fügen sich in das gestalterische Gesamtwerk der Haussmanns ein. Ihr «Kritischer Manierismus» operiert mit illusionistischen Gestaltungsmitteln und orientiert sich an Motiven der Architekturgeschichte, was die heute noch existierende Da-Capo-Bar (1980) im Hauptbahnhof Zürich verdeutlicht. In diesem Kontext erzielt die Materialverfremdung – hier Stoffe, die wie Stein, Marmor oder Holz daherkommen – ein surreales Moment.
Eine zweite Kollektion folgt im Jahr 1985. Sie beinhaltet eine Serie von «Faux-Unis» als Ergänzung zur ersten Kollektion. Als Vorlage dienen Terrazzoböden, plissiertes Papier sowie historische Papiere mit Stockflecken. Des Weiteren lancieren sie eine kleinere Dessin-Gruppe, die vom Zürcher Graffiti-Künstler Harald Nägeli inspiriert ist.
Jean-Philippe Lenclos: MIRVANA
Während die internationale Designpresse die MIRA-X Kollektionen feiert, ist den in Herstellung und Lagerung teuren Stoffen wirtschaftlich weniger Erfolg beschieden. In der Hoffnung, neue Märkte in Frankreich, Spanien und Italien zu erschliessen, beauftragt man Jean-Philippe Lenclos, einen erfolgreichen, in Paris ansässigen Farbdesigner, der zusammen mit seiner Agentur Atelier 3D Couleur unter anderem auch für Yamaha und Renault koloriert hat. Ihrer Kollektion für MIRA-X geht eine aussergewöhnlich lange Entwurfsphase voraus: Drei Jahre experimentieren Lenclos und sein Team mit Formen und Farben. Neben seinen persönlichen Erfahrungen als Maler mit einer Vorliebe für den Impressionismus und den Pointillismus beeinflusst die asiatische Kunst Lenclos, der sich insbesondere der Kalligrafie verbunden fühlt. Die ausführliche Recherche resultiert in der Kollektion MIRVANA, deren Name sich aus dem buddhistischen «Nirvana» kombiniert mit der Firmenbezeichnung MIRA-X zusammensetzt.
Zeit- und kostenintensive Vorbereitungsphasen, umfangreiche Kollektionen, teure Herstellungstechniken: Lange Zeit toleriert Möbel Pfister die Verluste des international gefeierten, aber weitgehend unrentablen Tochterunternehmens. Ende der 1980er-Jahre ändert sich jedoch die Firmenphilosophie, was schliesslich zum Verkauf von MIRA-X führt. Heute gehört die Marke zu TISCA.
Die totale Wohnharmonie im Textilmuseum St.Gallen
Das Engagement des Textilunternehmens MIRA-X war seinerzeit und ist auch aus heutiger Perspektive aussergewöhnlich, was das Textilmuseum St.Gallen bewegt, die hervorragenden Entwürfe, die aus der Zusammenarbeit von Unternehmerpersönlichkeiten mit renommierten Designern hervorgegangen sind, in einer Ausstellung zu würdigen. «Die Firmengeschichte von MIRA-X verdient es, noch einmal aufgerollt zu werden. Es ist beeindruckend und inspirierend zu sehen, welche mutigen und neuartigen Ansätze im Textildesign möglich sind, wenn die Rentabilität nicht zwingend gewährleistet sein muss», erläutert die Kuratorin Annina Weber. Dank der guten finanziellen Lage von Möbel Pfister seien in den Jahren zwischen 1970 bis 1990 umfangreiche Mittel in die Kollektionen sowie in die Bewerbung derselben geflossen, so Weber, weshalb man sich auf diesen Zeitraum konzentriert habe und andere für MIRA-X tätige Gestalter unerwähnt bleiben. Auf die für ihre Zeit absolut innovative Produktwerbung reagiert auch die Ausstellungsgestaltung, wie der Szenograf, André Meier, ausführt: «Als Ausgangspunkt für die Präsentation der Textilien dienten die zahlreichen, hervorragend gestalteten Showrooms von MIRA-X. Mit der Materialität der Ausstellungsträger wird ein Bruch erzeugt. Die Exponate werden so aus heutiger Sicht auf ihre Aktualität hin neu befragt.»
Gezeigt werden in drei Räumen grosse Dekorstoffe aus dem umfangreichen Archiv der Firma MIRA-X sowie aus diversen Museums- und Privatsammlungen. Die textilen Entwürfe werden in Bezug zum Gesamtwerk der Gestalter gesetzt, die als Architekten und Innenarchitekten, Möbeldesigner, Fotograf und Werber oder Farbdesigner international Anerkennung erlangten.
Kuratorin: Annina Weber
Szenografie / Grafik: meierkolb und Marie Cuennet
Textilmuseum St.Gallen
27.4. bis 30.9.2018
Bild: Jean-Philippe Lenclos: Kollektion Mirvana für MIRA-X. Im Vordergrund historische Kalligrafie-Bücher aus dem 19. Jh., die als Inspiration dienten.
Textilmuseum St. Gallen
Vadianstrasse 2
9000 St.Gallen
Schweiz
info @ textilmuseum.ch
www.textilmuseum.ch