Seltene Krankheiten: Umfrage zeigt Herausforderungen betroffener Familien in der Schweiz

Seltene Krankheiten: Umfrage zeigt Herausforderungen betroffener Familien in der Schweiz
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Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten

Wissenspower zum internationalen Tag der seltenen Krankheiten vom 28.2.2021

Eine exklusive Umfrage des Fördervereins für Kinder mit seltenen Krankheiten (KMSK) zeigt, mit welchen Herausforderungen sich betroffene Familien in der Schweiz konfrontiert sehen. Befragt wurden über 562 Familien aus dem KMSK-Netzwerk.

(Uster)(PPS) Anlässlich der Erarbeitung unseres 4. KMSK Wissensbuches «Seltene Krankheiten – Psychosoziale Herausforderungen für Eltern und Geschwister» (erscheint im Oktober 2021 in einer Auflage von 10 000 Stück und kann ab sofort auf kmsk.ch vorbestellt werden) haben wir unseren betroffenen KMSK-Familien Fragen gestellt und einen exklusiven Einblick in ihre alltäglichen Herausforderungen erhalten. Dabei fällt vor allem eines auf: Egal, welche seltene Krankheit ein betroffenes Kind auch hat, die Probleme, Hürden, Herausforderungen und Bedürfnisse sind für fast alle Familien dieselben.

Moment der Diagnose: Wie in einem Albtraum gefangen

So berichtet etwa die Mehrheit der befragten Familien, dass sie den Moment der Diagnose wie in einem Albtraum erlebt haben, dass es ihnen den Boden unter den Füssen weggezogen hat, sie Schock und Trauer gefühlt haben. Eine Vielzahl der befragten Familien hätten sich nach Diagnosestellung eine bessere psychologische Betreuung gewünscht. In diesem Zusammenhang fällt mehrfach die Aussage: «Wir haben uns alleine und verloren gefühlt». Bei der Verarbeitung der Diagnose berichten viele der Betroffenen von einem Trauerprozess. Sie sagen jedoch auch, dass es genau diesen gebraucht hat, um die Krankheit und das neue Leben zu akzeptieren. Ebenso durchleben viele der Befragten eine emotionale Achterbahnfahrt: Trauer, Wut, Hoffnung und immer wieder die Frage: “warum mein Kind“? Alle betonen, dass ihnen der Austausch mit anderen Betroffenen in der KMSK Selbsthilfegruppe Schweiz auf Facebook am meisten bei der Akzeptanz und Verarbeitung der Diagnose hilft.

Diagnose: Unbekannt

Eine Vielzahl der rund 8000 seltenen Krankheiten haben keinen Namen und die Betroffenen müssen mit dem Stempel «keine Diagnose» leben. Was geht in Eltern vor, deren Kind zwar schwer krank ist, die Medizin jedoch keine Antworten, geschweige denn Therapieoptionen hat? Die Befragten erzählen von Gefühlen wie Wut, Verzweiflung, Ungläubigkeit und Ohnmacht. Gleichzeitig berichten Betroffene auch von Problemen bei der Finanzierung weiterer genetischer Untersuchungen und dem Kampf bei IV und Krankenkasse, wenn keine Diagnose vorhanden ist. Es zeigt sich auch, dass von den Eltern viel Eigeninitiative gefordert wird: Sie suchen nach Therapiemöglichkeiten, dokumentieren die Entwicklung ihres Kindes, suchen Antworten bei verschiedenen Medizinern. Mehrfach betont wird von den Familien, dass ihnen die drei KMSK Wissensbücher Seltene Krankheiten mit den Geschichten anderer Betroffener besonders geholfen haben.

Leben im Hier und jetzt

Rund 80 Prozent der seltenen Krankheiten sind genetisch bedingt, Schätzungen zufolge stirbt etwa jedes Dritte Kind vor dem Erreichen des fünften Lebensjahres. Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen sagt denn auch, dass sie die Ungewissheit, wie sich ihr Kind entwickeln und was es für ein Leben haben wird, anfänglich stark belastet hat. Mit der Zeit allerdings lernen die Familien, die Situation so anzunehmen wie sie ist und mit dieser Ungewissheit zu leben. Eine vielgenannte Aussage ist in diesem Zusammenhang: «Wir leben im Hier und Jetzt und planen wenig in die Zukunft.» Gleichzeitig berichten knapp die Hälfte der Befragten, dass es viel Zeit gebraucht hat, um ihr Kind so zu akzeptieren wie es ist. Insbesondere der Vergleich mit gesunden Geschwisterkindern spielt hierbei eine entscheidende Rolle.

Überforderung und soziale Isolation

Ausnahmslos alle Familien berichten, dass sie im Alltag immer wieder überfordert sind und sich mehr externe Hilfe wünschen. Die Überforderung resultiert bei der Mehrheit der Befragten aus körperlicher Erschöpfung bzw. Schlafmangel. Ebenso leistet die Corona-Pandemie und die damit verbundene Isolation einen merklichen Beitrag dazu.

Eine seltene Erkrankung des Kindes führt bei vielen betroffenen Familien zu sozialer Isolation; sie erzählen, dass ihr Freundeskreis deutlich kleiner geworden ist. Die Gründe hierfür sind unter anderem fehlende Planbarkeit und Flexibilität sowie mangelnde Rücksichtnahme und Verständnis des Umfeldes. Wertvoll ist für die Familien deshalb der Austausch mit anderen Betroffenen: «Hier können wir so sein wie wir sind, werden verstanden und unterstützt», sagt eine betroffene Mama. Der Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten kommt genau diesem Bedürfnis nach, verbindet die Familien an den KMSK Familien-Events und schafft wertvolle Auszeiten.

Schwierigkeiten am Arbeitsplatz und finanzielle Herausforderungen

Rund die Hälfte der Befragten berichtet von finanziellen Schwierigkeiten. Als zentraler Grund wird genannt, dass sich die Mütter vollständig der Pflege des Kindes widmen und nicht mehr, oder nur noch stark reduziert, arbeiten können. Vereinzelt berichten Mütter von Vorwürfen und Mobbing, wenn sie wiederholt am Arbeitsplatz fehlen oder nicht vollen Einsatz zeigen können. Vom Arbeitgeber wiederum werden eine hohe Flexibilität und viel Verständnis erwartet. Ebenso sagen viele Betroffene, dass sie sich hinsichtlich finanzieller Unterstützungsmöglichkeiten, nicht gut beraten fühlen.

Keine Energie für die Paarbeziehung

Rund die Hälfte der Betroffenen berichtet, dass die Situation ihre Beziehung stark belastet, es vermehrt zu Streitereien kommt und sie sich auseinandergelebt haben, dass keine Zeit und Energie für die Paarbeziehung vorhanden sind. Die andere Hälfte der Betroffenen sagt, dass sie die schwierige Situation zusammengeschweisst und ihre Beziehung an Tiefe gewonnen hat.

Geschwister von betroffenen Kindern leiden still

Fast alle der Befragten geben an, dass die Geschwisterkinder oft zurückstecken müssen, «still» leiden und an den Eltern das schlechte Gewissen nagt. Es fehlt oftmals die Zeit für die gesunden Geschwisterkinder, was wiederum in Gefühlen wie Traurigkeit, Frust, Wut und Machtlosigkeit mündet.

Wenn die Grenze der Belastbarkeit erreicht ist

Praktisch alle Betroffenen sagen, dass sie immer wieder die Grenzen der Belastbarkeit erreichen und am Limit sind, dass sie funktionieren und sich selbst vernachlässigen. Erwähnt wird auch, dass die administrativen Herausforderungen eine immense Belastung darstellen. Ein wichtiger Ausgleich ist für eine Vielzahl der Befragten Sport, Gespräche mit Familie und Freunden sowie die Arbeit. Gleichzeitig betonen viele betroffene Mütter, dass sie einfach nur müde sind und entsprechend beim Schlafen am meisten Kraft schöpfen. Zugleich fällt es ihnen schwer abzuschalten und die Verantwortung für das kranke Kind aus der Hand zu geben. Psychogische Unterstützung nimmt nur eine Minderheit der betroffenen Mütter an, mehrfach fällt die Aussage: «nötig hätte ich es, aber mir fehlt die Zeit dazu».

Mit offener Kommunikation Wissen und Verständnis schaffen

Ausnahmslos alle der Befragten sagen, dass sie in ihrem Umfeld sehr offen kommunizieren und damit positive Erfahrungen machen. Auch für uns vom Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten steht fest, dass wir nur mit offener Kommunikation, indem wir die (Leidens)-Geschichten betroffener Familien in die Öffentlichkeit tragen und uns medial immer und immer wieder äussern, eine breite Wahrnehmung für das Thema «Seltene Krankheiten» erreichen können. Wir sehen uns als das Sprachrohr der schweizweit rund 350 000 betroffenen Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Familien, wir tragen ihre Interessen, Wünsche und Bedürfnisse in die Öffentlichkeit. In dem Sinne: Leisten Sie mit ihrem redaktionellen Bericht einen wertvollen Beitrag dazu, den Betroffenen eine Stimme zu verleihen.

Informationen zum internationalen Tag der seltenen Krankheiten vom 28.2.2021

350 Millionen Menschen sind weltweit von einer seltenen Krankheit betroffen. Auf die Bedürfnisse dieser Menschen wollen wir am Internationalen Tag der seltenen Krankheiten aufmerksam machen. Oft vergehen Jahre, bis eine seltene Krankheit richtig diagnostiziert wird. Der Tag der seltenen Krankheiten rückt die Anliegen der Betroffenen in den Fokus der Öffentlichkeit und der Gesundheitspolitik und setzt damit ein Zeichen für eine besser vernetzte Versorgung, mehr Forschung und mehr Solidarität für die Betroffenen. Unsere diesjährige KMSK Sensibilsierungskampagne zum internationalen Tag der seltenen Krankheiten konnten wir nur dank langjährigen Partnern, den drei Vätern und ihren betroffenen Söhnen generiert werden. Wir danken für das in uns gesetzte Vertrauen.

Firmenportrait: 

Über den Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten
Der gemeinnützige Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten KMSK wurde durch die Unternehmerin Manuela Stier am 20.2.2014 gegründet und setzt sich seither in der Schweiz für die betroffene Familien ein. Er gibt diesen ein Sprachrohr und ein Gesicht, trägt ihre Anliegen in die Öffentlichkeit, vernetzt die Familien untereinander (562 Familien) und leisten dort finanzielle Hilfe, wo sie dringend benötigt wird. Seit der Gründung wurden über 1,1 Millionen Franken an betroffene Familien ausbezahlt und es konnten rund 5716 Familienmitglieder zu kostenlosen KMSK Familien-Events einladen werden. Der Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten (KMSK) setzt sich in der Schweiz mit viel Herzblut für die rund 350 000 betroffenen Kinder und Jugendlichen und deren Familien ein.

Dazu dienen auch die drei KMSK Wissensbücher «Seltene Krankheiten», die seit 2018 jährlich in einer Auflage von 10 000 Expl. erscheinen und allen Dialoggruppen kostenlos abgegeben und durch diese rege genutzt werden. https://www.kmsk.ch/wissensbuecher-seltene-krankheiten

Pressekontakt: 

Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten
Ackerstrasse 43
8610 Uster

manuela.stier @ kmsk.ch
+41 44 752 52 50