Kreative Lösungen sind gefragt, damit professionelle Unterstützung bei psychischen Problemen finanzierbar wird
(Zürich)(PPS) Derzeit können nur Menschen mit finanziellem Polster die Dienstleistung einer Fachperson in Anspruch nehmen, denn selbständige PsychotherapeutInnen dürfen nur mit selbstzahlenden KlientInnen abrechnen. Wer eine Zusatzversicherung abgeschlossen hat, dem wird ein Teil der Therapiekosten erstattet. Hierbei gelten wiederum individuelle Konditionen, auch für die während der Corona Pandemie sehr wichtige fernmündliche Behandlung via Videotelefonie.
Die menschliche Psyche ist besonders in Zeiten von Corona besonders vulnerabel. Ihr Zustand ist für Aussenstehende fast nicht einschätzbar, gerade deshalb sind psychisch angeschlagene Personen so fragil und brauchen Schutz. Die Therapieplätze bei sogenannt delegiert angestellten PsychotherapeutInnen sind besonders begehrt, denn wer unter der Aufsicht eines Psychiaters oder einer Psychiaterin arbeitet, darf über die Grundversicherung abrechnen. Diese Plätze sind rar und die Wartefrist entsprechend lang. Für delegierte PsychotherapeutInnen gilt momentan eine Obergrenze von 360 Minuten pro drei Monate für fernmündliche Behandlung. Allgemein haben viele PsychotherapeutInnen derzeit, ob delegiert oder selbständig, so viele Anfragen, dass sie neue KlientInnen oftmals nicht mehr aufnehmen können.1
Kreativität - jetzt!
Die Politik ist auf vielen Ebenen gefordert und sollte gerade deshalb für kreative Lösungsvorschläge offen sein. Konstruktive Ansätze sollten geprüft und umgesetzt werden. Es wäre beispielsweise machbar, das Anordnungsmodell ad hoc per sofort einzuführen. Der Bundesrat hat die Kompetenzen in einer solch aussergewöhnlichen Lage, aussergewöhnliche Entscheidungen zu treffen. Das BAG müsste mindestens eine einheitliche Regelung für die Zusatzversicherungen bestimmen, was die Abrechnung von fernmündlicher Behandlung angeht: virtuell stattgefundene Sitzungen sollten genau wie physisch durchgeführte Treffen abgerechnet werden dürfen. Es ist für einen erfolgreichen Therapieverlauf wichtig, den jetzigen Turnus an Konsultationen beizubehalten, denn dies bedeutet Stabilität für psychisch beeinträchtigte Menschen.
Verantwortlichkeiten wahrnehmen
Es darf nicht sein, dass die Verantwortlichkeit wie eine heisse Kartoffel weiter herumgereicht wird: das BAG nennt die Versichererverbände als in der Pflicht und umgekehrt. Der Verband der Zusatzversicherungen (SVV) hat laut eigenen Aussagen die Problematik der fernmündlichen Behandlung noch nicht mal angesprochen. Aber dafür ist es bereits ein Thema in diesen Reihen, potentielle Zusatzversicherte, welche an Covid erkrankten, gar nicht erst aufzunehmen bzw. Leistungen auszuschliessen.2
Nationaler Aktionstag reicht nicht
Der Stellenleiter der Zürcher Sektion der «Dargebotenen Hand» sprach von einer Zunahme um 30%, wenn es um geäusserte Suizidgedanken geht auf die letzten sechs Monaten betrachtet.3 Diese Aussage machte er im Rahmen des Nationalen Aktionstages vom 10. Dezember 2020. Damals hiess das Motto: «Darüber reden. Hilfe finden.» In den Ohren der Betroffenen klingt der Slogan zynisch, denn professionelle Hilfe findet man in der Regel nirgends kostenlos. Weil viele Menschen durch Jobverlust oder Kurzarbeit bereits finanzielle Einbussen erlitten haben, können sie sich den Selbstbehalt einer Zusatzversicherung nicht mehr leisten. Manchmal ist auch die maximale Obergrenze einer Zusatzversicherung erreicht und der Rest muss selbst übernommen werden.
Die in den Medien erwähnte Zunahme der Klinikaufenthalte4 ist oftmals um einiges teurer, als eine ambulante Psychotherapie, die, rechtzeitig begonnen, viel Leid verhindern kann. Jetzt ist die Politik gefragt, die kreativen Lösungen anzunehmen, damit die Jugendlichen und andere Bevölkerungsgruppen nicht weiter alleine gelassen werden.5
1 srf.ch/news/schweiz/psychiatrie-in-der-pandemie-wenn-das-virus-die-seele-trifft
2 tagesanzeiger.ch/kassen-durchleuchten-krankenakten-auf-corona-262234295916
3 cjoint.com/doc/20_12/JLqneHsQ2Ut_201210-BAG-Energy-Schweiz-143-Beitrag-1.MP3 und siehe auch: srf.ch/news/schweiz/corona-schlaegt-auf-die-psyche-die-angeschlagene-psyche-leidet-besonders-wegen-corona und srf.ch/news/schweiz/anstieg-bei-den-anlaufstellen-beratungsstellen-melden-mehr-gespraeche-ueber-suizidgedanken
4 tagesanzeiger.ch/weshalb-jugendliche-am-staerksten-unter-corona-leiden-764567110243 und srf.ch/news/schweiz/belastende-coronakrise-auffallend-mehr-notfaelle-in-kinder-und-jugendpsychiatrien
5 Ebenda und: rts.ch/info/suisse/11814157-jeunes-ou-personnel-soignant-le-psychisme-est-mis-a-rude-epreuve-avec-la-pandemie.html
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