Schweizer Accessibility-Studie Onlineshops
Onlineshopping für alle?
Nein, nur ein Viertel der Onlineshops sind barrierefrei
(Zürich)(PPS) Die aktuelle Schweizer Accessibility-Studie legt aufgrund des starken E-Commerce-Booms den Fokus auf die Barrierefreiheit von Onlineshops und stellt ernüchtert fest: 1,7 Millionen Menschen mit einer Behinderung treffen beim Einkaufen im Web auf teilweise unüberwindbare Hindernisse und werden so vom Onlineshopping ausgeschlossen. Unzugängliche Angebote verunmöglichen damit 20% der Bevölkerung in der Schweiz eine gleichberechtigte Teilhabe im digitalen Raum. Es besteht dringender Handlungsbedarf und die Onlinehändler sind aufgerufen, diese Barrieren zu beseitigen.
Onlineshopping hat sich zur Selbstverständlichkeit entwickelt. Die Coronakrise hat diesen Wandel zusätzlich befeuert und der Schweizer Onlinehandel hat allein im ersten Halbjahr 2020 gesamthaft über 35 % zugelegt. Umso wichtiger ist es, dass alle Menschen in gleichem Mass an diesen digitalen Angeboten teilhaben und ihre Einkäufe selbständig online erledigen können. Mit 10 von 41 getesteten Onlineshops sind allerdings nur knapp ein Viertel für Menschen mit Behinderungen gut bis sehr gut nutzbar. 17 Onlineshops sind in Teilen bedienbar. Sie weisen einige Barrieren auf, die in Einzelfällen so hoch sind, dass sie einen erfolgreichen Einkauf im Web verunmöglichen. 14 Shops müssen als nicht zugänglich eingestuft werden: Sie verletzen grundlegende Regeln der Barrierefreiheit mehrfach und auf schwerwiegende Weise. Anbieter von Onlineshops vergessen offenbar, dass es zahlreiche Menschen gibt, die akustisch, visuell, motorisch oder kognitiv eingeschränkt sind.
Die digitalen Barrieren im Internet sind dabei vielfältig, wie nachfolgende Beispiele zeigen. Wenn sich Produkt-, Zahlungs- oder Lieferoptionen beim Onlineshopping nicht mit der Tastatur ansteuern lassen, sind alle Menschen benachteiligt, die keine Computermaus (oder ein anderes Zeigegerät) bedienen können, beispielsweise wegen motorischer Behinderungen wie Muskelzittern. Ungenügende Kontraste von Navigations- oder Bedienelementen verunmöglichen oder erschweren Menschen mit Sehbehinderungen das Einkaufen. Wenn Informationen nur in Form von Bildern vorliegen, was leider häufiger der Fall ist, werden blinde Menschen benachteiligt. Bei Produkt- und Herstellervideos ohne Textalternativen für gesprochene Informationen entstehen bei hörbehinderten Menschen Informationsdefizite. Komplexe Sprache und Struktur sind eine Barriere für Menschen mit kognitiven Behinderungen. Newsticker und daueranimierter Inhalt erschweren Menschen mit einem Aufmerksamkeitsdefizit den Einkauf im Onlineshop unnötig. Die Vielfalt der Hürden verdeutlicht, dass viele Menschen und damit potenzielle Kunden von Barrierefreiheit im Web profitieren.
In den Top Ten der Gesamtrangliste finden sich fünf Onlineshops der öffentlichen Verwaltung und bundesnaher Betriebe. Dies zeigt, dass die Sensibilisierung für das Thema auf Stufe Bund und bundesnahe Betriebe vermehrt vorhanden ist. Privatwirtschaftliche Anbieter unter den Top Ten wie Swiss International Airlines, Nespresso, Airbnb und Ikea sind u.a. in Ländern aktiv, in welchen strengere Vorschriften bezüglich Barrierefreiheit im Internet gelten und Klagen bzw. Bussen bei Nichterfüllung drohen. Ausserhalb der Top Ten ist das Bild der Ergebnisse durchmischt, branchenspezifische Aussagen sind nicht möglich.
Digitale Barrierefreiheit ist nicht nur gefordert, sie bietet auch viele Vorteile
Die Onlinehändler sind gefordert, diese Barrieren zu beseitigen und ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen. Mit barrierefreien Onlineshops erreichen die Shopbetreiber Menschen mit Behinderungen und sie können ihre Kundschaft vergrössern. Massnahmen zur Verbesserung der Barrierefreiheit reduzieren zusätzlich Abbruchpunkte im Shopping. Von einem barrierefrei auf die Bedürfnisse der Kundschaft ausgerichteten Onlineshop profitieren Kundinnen und Kunden sowie die Anbieter, ohne dabei ökonomische Interessen zu vernachlässigen.
Ausführliche Testresultate und interessante Fachartikel
Die detaillierten Accessibility-Testresultate der aktuellen Studie zeigen Onlinehändlern beispielhaft, worauf sie achten müssen, um digital barrierefreie Onlineshops zu realisieren. Die Studie beinhaltet neben den Testresultaten interessante Artikel zu Themen rund um das Thema Barrierefreiheit und E-Inclusion sowie ein Vorwort von Bundesrat Alain Berset.
Hilfsmittel und Tools
Gleichzeitig mit der Studie wird eine webbasierte Schweizer Accessibility-Checkliste WCAG 2.1. publiziert. Diese beruht auf den international anerkannten Richtlinien der Web Content Accessibility Guidelines WCAG und unterstützt eine praxisorientierte Umsetzung. Für Entwickler gibt es den Accessibility Developer Guide, eine open-source Wissensdatenbank zum Thema Barrierefreiheit.
Regelmässig durchgeführte Studie
Erarbeitet und durchgeführt hat die Schweizer Accessibility-Studie «Zugang für alle», das Kompetenz- und Zertifizierungszentrum in der Schweiz für digitale Barrierefreiheit. Es ist bereits die 5. Schweizer Accessibility-Studie. Die Studien stellen jeweils eine unabhängige und fundierte Analyse dar über den Zustand einer repräsentativen und relevanten Auswahl von Websites bezüglich Barrierefreiheit in der Schweiz. «Zugang für alle» zeichnet sich dadurch aus, dass mehr als die Hälfte der Accessibility-Experten nicht nur über das nötige Fachwissen verfügen, sondern sie als behinderte Menschen auch aus ihrem Alltag bestens mit den potenziellen Barrieren im Web vertraut sind.
«Zugang für alle» testete im Jahr 2020 von Januar bis März 41 Onlineshops privater Anbieter und solche der öffentlichen Verwaltung sowie bundesnaher Betriebe. Die Stichprobe der privaten Anbieter umfasste dabei umsatz- sowie transaktionsstarke Onlineshops, ergänzt mit in der Schweiz häufig genutzten internationalen Shops und umsatzstarken Reise- und Ticketshops sowie horizontalen Plattformen.
Die Durchführung der Studie wurde von nachfolgenden Förderpartnern unterstützt: Eidgenössisches Büro für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen EBGB, Schweizerische Post AG, Schweizerische Bundesbahnen SBB, Gönnerverein «Zugang für alle», Hasler Stiftung, Informatiksteuerorgan des Bundes ISB, Kanton Schaffhausen, Stadt Zürich Fachstelle für Behinderung/Sozialdepartement, Stiftung Cerebral, Thurgau Lotteriefonds sowie weitere Förderorganisationen.
Bezug der Studie
Die Schweizer Accessibility-Studie Onlineshops und eine Infografik zu den Resultaten stehen unter www.access-for-all.ch/ch/studie als barrierefreie PDF zur Verfügung.
Kontakt
Sylvia Winkelmann-Ackermann, Geschäftsführerin «Zugang für alle»
sylvia.winkelmann-ackermann @ access-for-all.ch, Tel. +41 44 515 54 20
Manu Heim, Kommunikation «Zugang für alle»
manu.heim @ access-for-all.ch, Tel. +41 44 515 54 24
Die Studie wird heute am 5.11.2020 an der Nationalen Online-Fachtagung E-Accessibility um 9.40h vorgestellt
einclusion.digitalerdialog.ch/de/eaccessibility
Veranstalter der Tagung sind der Bund, die Post, egovernment Schweiz und die SBB.
Portrait Stiftung «Zugang für alle»
«Zugang für alle» engagiert sich in vielfältiger Weise für digitale Inklusion
«Zugang für alle» ist das Kompetenzzentrum in der Schweiz für digitale Barrierefreiheit. «Zugang für alle» versteht sich als Vermittlerin zwischen dem Anwenderkreis von Menschen mit Behinderungen und Anbietern von digitalen Informationen und Services. «Zugang für alle» ist gemeinnützig, eigenfinanziert und agiert im 1. Arbeitsmarkt. Mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden hat eine Behinderung.
Sensibilisierung und Öffentlichkeitsarbeit
«Zugang für alle» fördert das Bewusstsein bei Wirtschaft, Wissenschaft, Behörden, Politik und Bevölkerung für eine barrierefreie elektronische Informationsvermittlung sowie zugängliche digitale Dienstleistungen für behinderte Menschen. «Zugang für alle» erstellt und publiziert dazu u.a. in regelmässigen Abständen Schweizer Accessibility-Studien als Bestandesaufnahmen der Barrierefreiheit relevanter Internetangebote in der Schweiz.
Ausbildungsplätze und Praktika
«Zugang für alle» bietet Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, ein Praktikum zu absolvieren, international anerkannte Zertifikate für Computeranwender zu erwerben (als ECDL-Testcenter) oder sich zu Accessibility-Spezialisten ausbilden zu lassen. Damit leistet «Zugang für alle» einen wertvollen Beitrag zur beruflichen und sozialen Inklusion von Menschen mit Behinderungen und verbessert deren Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Expertise und Zertifizierungsinstitution
«Zugang für alle» berät und unterstützt Behörden, Firmen, Organisationen und Privatpersonen bei einer barrierefreien Realisierung von digitalen Services, Websites und Smartphone-Apps. «Zugang für alle» prüft als Zertifizierungsinstitution digitale Angebote auf deren Barrierefreiheit gemäss WCAG (Web Content Accessibility Guidelines; internationaler Standard). «Zugang für alle» erstellt auch Expertenberichte bei juristischen Klagen im Kontext digitaler Barrierefreiheit.
Schulungen
«Zugang für alle» vermittelt Wissen und Know-how über die Entwicklung barrierefreier Websites und Mobile Applications in öffentlichen Kursen und Workshops.
Enabler
«Zugang für alle» realisiert Vorhaben im Bereich der barrierefreien Technologienutzung, um der Öffentlichkeit sowie interessierten Organisation und Personen freien Zugang zu Accessibility Know-how zu ermöglichen. Dazu gehört die Open-source Onlineplattform accessibility-developer-guide.com, eine umfassende Wissensdatenbank für die Entwicklung barrierefreier Webseiten.
Stiftung Zugang für alle
Friedhiemstrasse 8
8057 Zürich
Auskünfte zur Studie am 5.11.2020 von 14.30 bis 17 Uhr
Sylvia Winkelmann-Ackermann, Geschäftsführerin «Zugang für alle»
sylvia.winkelmann-ackermann @ access-for-all.ch, Tel. +41 44 515 54 20
Manu Heim, Kommunikation «Zugang für alle»
manu.heim @ access-for-all.ch, Tel. +41 44 515 54 24