BAG lehnt Cannabis-Pilotprojekte ab: Das Ende der pragmatischen Cannabispolitik in der Schweiz?
(Zürich)(PPS) Der Bund hat heute mitgeteilt, keine Ausnahmebewilligung für die Pilotstudie der Universität Bern zum kontrollierten Cannabisverkauf zu erteilen. Zürich, Biel und Luzern hatten geplant, sich dem Projekt anzuschliessen, weitere wollten folgen. Auch die anderen Pilotprojekte in Basel und Genf haben damit keine Perspektive mehr. Steht die pragmatische Cannabispolitik in der Schweiz vor dem Aus? Die Sucht-Fachpersonen wehren sich gegen diesen Schritt zurück und rufen das BAG auf, seine Verantwortung als führender Akteur in der Cannabispolitik wahrzunehmen.
Die Schweiz ist in der ideologisch aufgeladenen Suchtpolitik in der Vergangenheit einen sehr erfolgreichen Weg gegangen: Was sich in der Praxis bewährt hatte, fand Eingang in die Suchtpolitik des Bundes. Diese pragmatische Herangehensweise wurde heute in Frage gestellt. Die grossen Schweizer Städte wollten mit ihren Pilotprojekten lokale Erfahrungen für bessere Lösungen im Umgang mit Cannabiskonsum sammeln – dieser Weg ist nun blockiert. Der Strassendeal, der unbekannte Wirkstoffgehalt oder die mangelnde Qualität des verkauften Cannabis bleiben manifeste Probleme. Dennoch versperrt sich der Bund der Problemlösungskompetenz und Innovation der Akteurinnen und Akteure im Feld.
Seit 1991 war die Schweiz den jeweiligen suchtpolitischen Problemen unserer Zeit mit einem sehr erfolgreichen Rezept begegnet: Erfahrungen aus der Praxis wurden in wissenschaftlichem Rahmen begleitetet und erprobt. Einige wurden wieder verworfen, andere haben sich bewiesen, wie z.B. die kontrollierte Heroinabgabe oder die Etablierung von Konsumationsräumen im Sinne der Schadenminderung. Diese Massnahmen haben der Schweiz auch in der internationalen Fachwelt hohes Ansehen verschafft und sind in vielen Ländern heute ebenfalls etabliert. Ohne den schweizerischen Pragmatismus hätte es diese damals neuartigen, heute beispielhaften Ansätze nicht gegeben.
Die grossen Schweizer Städte wie Zürich, Genf, Bern, Luzern oder Basel wollten dieses Erfolgsrezept jenseits politischer und ideologischer Schaukämpfe auch in der Cannabispolitik anwenden. Darin sind sie heute jäh gestoppt worden. Das „Nein“ des BAG ist auch eine Absage an föderale Lösungen und ein Misstrauensvotum gegen die Fachkompetenz der Akteure, welche die Pilotprojekte seit Jahren vorbereiten. Und es ist eine Absage an den Reformwillen der Bevölkerung. Die Sucht-Fachpersonen sind der Überzeugung: Der Mut zur nötigen Reform darf sich dadurch nicht ersticken lassen.
Über den Fachverband Sucht
Der Fachverband Sucht ist der Verband der Fachorganisationen und -personen in den Bereichen Suchthilfe (Beratung, Therapie und Schadenminderung), Suchtprävention und Gesundheitsförderung in der Deutschschweiz. Er bündelt die Ressourcen und die Interessen von rund 300 Mitgliedsorganisationen aus allen Kantonen der Deutschschweiz.
Im Namen seiner Mitglieder setzt sich der Fachverband Sucht für eine menschenwürdige, fachlich fundierte und in sich kohärente Suchtpolitik ein, die Nutzen und Schaden auf individueller, gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Ebene bestmöglich abwägt. Er orientiert sich an einem ganzheitlichen, multifaktoriellen Gesundheitsverständnis, das individuelle und strukturelle Ursachen und Folgeerscheinungen von problematischem Konsum und Abhängigkeit gleichermassen berücksichtigt. Er arbeitet dabei auf einen bewussten Umgang mit Substanzen und potenziell abhängigkeitserzeugenden Angeboten (z.B. Geldspiele und Onlinegames) sowohl durch das konsumierende Individuum als auch durch die Anbieter hin.
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